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Der Begriff Zì Rán ist nicht direkt als Kampfstil zu verstehen. Es ist eher das Mass, der Leitgedanke und das Schlüsselprinzip für diesen Weg der Kampfkunst. Auf Chinesisch bedeutet Zì Rán wortwörtlich „von selbst“ oder „natürliches (Rán) Selbst (Zì)“. Es bezeichnet die ursprüngliche Natur aller Dinge, einer geistigen Klarheit gleich. Es ist die Grundlage für alles, was wir tun.

Zì Rán Wǔ Yì Kūng Fū ist die subtile Kunst, das Wesentliche des Geistes mit der Technik zu vereinen, in der es zum Tragen kommen soll.

Zi Ran – Das natürliche Selbst

Das Chinesische Wort Zì Rán bedeutet das „Natürliche Selbst“. Nach meinem Verständnis bedeutet das das subjektive, ursprüngliche Selbst. Das ist leicht gesagt aber es zu erklären ist schwerer.

Wir sind oft sehr stark geprägt von unserer objektiven Wahrnehmung und der menschliche Verstand hat die Angewohnheit durch Formen und Anschauungen zu bewerten und zu beurteilen. Objekte unterscheiden sich von Subjekten in dem, dass sie messbar und vergleichbar sind. Subjekte hingegen sind das nicht.

Frage dich selbst: bist du dir der Tatsache bewusst, dass ein grenzenloser Raum und unantastbare Stille dich genau jetzt in diesem Moment umhüllt und durchdringt oder dass dein wahres Selbst transzendentale Glückseligkeit ist? (Transzendenz von lateinisch transcendere ‚übersteigen‘)

In den alten Schriften Indiens sagt man in Sanskrit „neti neti“ und das bedeutet „nicht das und nicht das“. Egal was man über das wahre Selbst sagt, es ist nicht
zutreffend. Man kann nur sagen was es nicht ist.

Wenn wir in einen Spiegel sehen, so sehen wir eigentlich nie den Spiegel. Was wir sehen ist das Bild das zurück gespiegelt wird. Wir können nur das Spiegelbild sehen und nicht den Spiegel.

Wu Wei – Ming Hui – Zi Ran.
Die Grundprinzipien unserer Schule

Ein anderer Vergleich ist die Sonne.

Wenn wir in die Sonne sehen, so sehen wir nie wirklich die Sonne. Was wir sehen ist das Licht, das von der Sonne kommt.

Wir können das Selbst nie sehen, aber wir können das Selbst „sein“. Da wir es schon sind, können wir es nicht werden. Um das Selbst zu erkennen müssen wir nicht etwas tun, es liegt genau im „nicht tun“. Es liegt in der Wahrnehmung des „Seins“.

Ironischerweise ist es genau das, was es so schwer macht es wahrzunehmen.
Wenn wir ein Glas Sirup trinken ist es schwer das Wasser zu schmecken, obwohl es alles durchdringt. Dies weil es von einer Eigenschaft überdeckt ist.

Das Selbst ist die Quelle unseres Lebens und so wie die Sonne Energie, Licht und Wärme ausstrahlt, strahlt das Selbst Leben, Licht und Freude aus.

Universell

Obwohl unsere Kampfkunst einen chinesischen Namen hat, so möchte ich nicht, dass sie als ein chinesischer Kampfstil angesehen wird. Die Natur ist universell und bezieht sich nicht auf eine Nation oder Rasse. Wenn ein Schwert in unserem Bauch steckt, ist es auch nicht mehr von so grosser Bedeutung ob es ein russisches oder chinesisches Schwert ist. Es ist einfach ein Schwert und es fühlt sich wahrscheinlich sehr unangenehm an.

Kampfstile

Kampfkünste gibt es auf der ganzen Welt. Wahrscheinlich gibt es sogar mehr Stilrichtungen als Sprachen und so können wir uns von überall her inspirieren lassen. Auch wenn ich selbst von über 10 verschiedenen Kampfstilen lernte, so empfehle ich nicht unbedingt möglichst viele Kampfstile zu lernen. Das macht nicht so viel Sinn. Am Ende liegt die Wirksamkeit nicht am Stil, sondern am Menschen selbst.

Keinen Kampfstil als Kampfstil – Die natürliche Kampfkunst

Das Ziel von Zì Rán Wu Yi Kung Fu ist die Natürlichkeit. Ich habe die Prinzipien von Zì Rán ausgewählt, weil es direkt zutreffend ist. Das Prinzip gibt uns die volle Freiheit uns selbst auszudrücken und die Kunst zu entwickeln. Die Natur selbst ist unser Vorbild, Lehrer und Massstab zugleich. Wenn wir Kampfkunst als eine Sprache betrachten, eine Körpersprache, können wir es eventuell leichter verstehen. Wenn z.B. in zwei unterschiedlichen Sprachen gleichzeitig Lieder mit der gleichen Bedeutung gesungen werden – nehmen wir als Beispiel eine asiatische und eine europäische Sprache – so gibt es ein ziemliches Durcheinander. Nimmt man jedoch asiatische und europäische Instrumente so harmonieren sie wundervoll miteinander, denn musikalische Instrumente sind formloser als eine gesprochene Sprache. So wie die Bedeutung einer Sprache den Verstand erreicht, so erreichen der Klang und die Melodie eines Instruments das Herz. Der Verstand braucht Zeit um zu bewerten, vergleichen und verstehen und ist nie in der Gegenwart. Das Herz fühlt und erlebt immer unmittelbar in der Gegenwart.

Wenn zwei Eisstücke auf einander stossen, bleiben sie zwei getrennte Eisstücke. Passiert dasselbe mit zwei Wassermengen (z.B. zwei Tropfen) fliessen sie unmittelbar ineinander und vermischen sich vollständig.

Sprache entspricht in diesem Vergleich der fixen Form und die Musik der fliessenden. Ein Stil ist eine erkennbare Form, die man von anderen Formen (Stilen) unterscheiden kann. Weil es eine fixe Form, ein fixes System ist, vermischt es sich nicht gut mit anderen Formen. Das Prinzip von Zì Rán ist jedoch wie Wasser zu sein: formlos aber nicht eigenschaftslos. Zì Rán vereinigt jede Technik wie das Wasser. Zì Rán ist die Natürlichkeit und liegt jeder Form zu Grunde.

Zì Rán Wǔ Yì Kūng Fū ist weder als Zusammensetzung verschiedener Kampfstile noch als Leistungssport oder Fitnesstraining zu sehen, sondern als Kampfkunst die das Essentielle beinhaltet. Der Schlüssel zu Zī Rǎn lieget im eigenen Bewusstsein, im Hier und Jetzt.